Entwicklung der "Balkanroute"

WORUM GEHT'S?

Die sogenannte Balkanroute bezeichnet die Wegstrecke von der Türkei nach Westeuropa. Seit Jahrhunderten wird diese Route für Handel- und Warentransfer als Reiseroute und auch von Menschen auf der Flucht genutzt. Die „Balkanroute“ als “Fluchtkorridor” existierte somit bereits vor den Migrationsbewegungen 2015 und der damit verbundenen medialen Aufmerksamkeit. Sie verläuft durch eine Vielzahl unterschiedlicher Länder.

WORUM GEHT'S?

Aufgrund nationaler sowie EU-politischer Entwicklungen und der Etablierung strenger Grenzregime in einigen Ländern verschiebt sich die Route dynamisch. Menschen auf der Flucht sind immer wieder gezwungen, andere Wege nach (West-)Europa zu wählen. Durch politische Entscheidungen werden sie kriminalisiert, illegalisiert und gestoppt – die „Balkanroute“ als Wegstrecke kann jedoch niemals geschlossen werden.

Auf dieser Seite könnt Ihr Euch einen Überblick über politische Entscheidungen und zentrale Ereignisse zur Entwicklung der „Balkanroute“ verschaffen.

Stand: März 2020

Die Entwicklungen im Überblick

Juni, 1985. Schengen-Abkommen

Das von Mitgliedstaaten der Europäischen Union beschlossene Schengen-Abkommen ermöglicht es, Binnengrenzen innerhalb des Schengenraums an jeder Stelle ohne Personenkontrolle zu überschreiten. Als Ausgleich zur Öffnung der Binnengrenzen werden folgend die Außengrenzen verstärkt geschützt, um illegale Einreisen zu verhindern.

Juni, 1990. Dublin-Übereinkommen

Das Dublin-Übereinkommen regelt Verantwortlichkeiten für Asylantragsverfahren der Länder innerhalb der EU. Nach mehreren Überarbeitungen gilt jedoch, dass Asylbewerber*innen in dem Land zu registrieren sind, in dem sie die Europäische Union betreten (Mehr Infos auf der Website der Bundesregierung). Dies hat zur Folge, dass eine hohe Anzahl von zu bearbeitenden Anträgen in den Ländern an der EU-Außengrenze (z.B. Griechenland oder Italien) anfallen.

Ab 2010. Anstieg an flüchtenden Menschen

Politische Veränderungen in vielen Ländern Westasiens und Nordafrikas sowie existenzielle Nöte durch Dürren, die hohe Lebensmittelpreise und fehlendes Einkommen zur Folge haben, führen zu Unruhen und Wut auf das etablierte Regime. Es kommt zum Arabischen Frühling. In Syrien eskalieren Kämpfe zwischen Regime und Opposition, zusätzlich löst der Terror durch Daesh (2014/15) in Syrien und Irak eine große Fluchtbewegung aus.

Juni, 2015. Sommer der Migration

Eine gestiegene Anzahl von Menschen auf der Flucht und fehlende Aufnahme- und Registrierungskapazitäten in den zuständigen Grenzstaaten führen im Sommer 2015 zum Entstehen des “formalisierten Korridors”, entlang dessen Menschen in Richtung Westeuropa weiterreisen können. Länder entlang der „Balkanroute“ legalisieren und unterstützen diese Weiterreise aktiv, z.B. durch die Ausstellung von 72 Stunden gültigen Aufenthaltspapieren, die Bereitstellung von Bussen und Einrichtung von Transitcamps. Ungarn beginnt bereits im Sommer 2015 mit der Militarisierung seiner Grenze zu Serbien. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán lässt einen Zaun entlang der serbischen Grenze bauen, welcher seitdem stark patrouilliert wird. An dieser Grenze werden ab 2016 die ersten Berichte über illegale Pushbacks und Polizeigewalt gegen Flüchtende bekannt. Im Oktober 2015 beschließen 10 EU-Staaten sowie Serbien, Albanien und Nordmazedonien auf einem Sondergipfel den 17-Punkte-Plan, welcher die sofortige Reduktion von flüchtenden Menschen auf der „Balkanroute“ bewirken soll. Konkret werden neue Camps und Aufnahmeplätze in Griechenland sowie anderen Ländern Südosteuropas geschaffen und der Grenzschutz sowie die Registrierung von Menschen auf der Flucht intensiviert.

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Februar, 2016. Westbalkan-Konferenz

Um die Anzahl an Menschen auf der „Balkanroute“ und die Ankünfte in Westeuropa zu verringern, wird von Österreich ausgehend der Wille zur Schließung der Grenzen geäußert. Auf der Westbalkan-Konferenz einigen sich Länder Südosteuropas und der EU (ohne Griechenland), die Grenzen schrittweise zu militarisieren und Grenzkontrollen verstärkt durchzuführen. Als Konsequenz entstehen Hotspots entlang der verschlossenen Grenzen.

März, 2016. EU-Türkei-Deal

Um einen erneuten Anstieg der Migration zu verhindern, schließt die EU mit der Türkei eine Vereinbarung ab. Diese ermöglicht es, illegal nach Griechenland Eingereiste in die Türkei abzuschieben und die Ausreise von Geflüchteten aus der Türkei nach Griechenland zu unterbinden. Im Gegenzug dafür erhält die Türkei drei bis sechs Milliarden Euro an finanzieller Unterstützung, welche jedoch verspätet und nicht vollständig ausgezahlt wurden. Zusätzlich beinhaltet der Deal ein Umsiedlungskonzept: Für jede Person, die in die Türkei abgeschoben wird, erklärt sich die EU bereit, eine*n Geflüchtete*n aus Syrien aufzunehmen. (Pressemitteilung der EU-Kommission zum Abkommen). An der Vereinbarung gibt es viel Kritik und auch völkerrechtliche Bedenken.

Februar, 2020. Aufbrechen des EU-Türkei-Deals

Im Februar 2020 verkündet der türkische Ministerpräsident Erdoğan, die Grenze der Türkei zu Griechenland für Geflüchtete und Migrant*innen zu öffnen, was ein faktisches Ende des EU-Türkei-Deals bedeutet. Als Grund dafür nennt er fehlende Hilfszahlungen von der EU. Griechenland reagiert – unterstützt von der EU – mit der Militarisierung der Grenze und dem Aussetzen des Rechts auf Asyl für einen Monat. Viele der in diesem Zeitraum aufgegriffenen Geflüchteten werden ohne rechtsstaatlichen Schutz und klar gegen geltendes Völkerrecht verstoßend in die Türkei ausgewiesen.

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