Frontex
Wer ist Frontex
Gewaltsame Pushbacks sind entlang der sogenannten Balkanroute zur traurigen Normalität geworden. Insgesamt hat das Border Violence Monitoring Network 1000 Pushbacks mit 13.933 Betroffenen dokumentiert und veröffentlicht, allein im Februar 2021 waren es 44 Pushbacks, von 1133 Menschen auf der Flucht. Der sogenannte “Schutz” der EU-Außengrenzen bedeutet in der Praxis, dass Menschen systematisch misshandelt, entrechtet und unrechtmäßig zurückgeschickt werden. Dies geschieht mit aktiver Unterstützung der europäischen Agentur für Grenz- und Küstenwache Frontex und hat unter anderem zur Verschiebung der Migrationsbewegung in Richtung der “Balkanroute” geführt.
Frontex als Agentur steht für einen europäischen Grenzschutz der Abschottung und Abschreckung. Legitimiert werden die Praktiken von Frontex durch einen rassistischen Sicherheitsdiskurs, der irreguläre Migration in die EU nicht nur kriminalisiert, sondern auch mit Terrorismusgefahr gleichsetzt. Menschenverachtende Bedingungen zeugen von einer “Politik der Abschreckung“, durch die dem Mythos des sogenannten “Pull-Faktors” vorgebeugt werden soll.
Frontex ist die am schnellsten wachsende EU-Behörde, die unbedingt besser verstanden werden muss, um ihre Praktiken problematisieren zu können. Im Folgenden thematisieren wir deshalb die Problematik ihres Mandats, die Verwicklung in Pushbacks, fehlende Transparenz und Accountability, die Verbindung der Agentur zum militärisch-industriellen Komplex und die Stationierung von Frontex-Beamt*innen in Drittstaaten.
Frontex-Mandat
Frontex wurde im Zuge der Osterweiterung 2004 geschaffen und 2007 durch die Verordnung (EG) 863/2007 „über den Mechanismus zur Bildung eines Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke (…) und der Regelung der Aufgaben und Befugnisse der abgestellten Beamten“ ergänzt. Frontex hatte zunächst eine koordinierende Rolle. Die Befugnisse der Grenzagentur wurden allerdings über die Jahre stetig ausgebaut. Insbesondere im Nachgang zu 2015 wurden 2016 die Mittel und Aufgaben von Frontex stark erhöht. Seitdem übernimmt Frontex auch überwachende und operationelle Aufgaben. Außerdem gab es auch geographisch eine deutliche Ausweitung, sodass Missionen über die europäischen Grenzen hinaus auch in Drittländer ermöglicht wurden. Auf dem sogenannten Westbalkan beispielsweise finden solche Missionen bereits in Albanien und Montenegro statt, in anderen Ländern – etwa Serbien – werden diese vorbereitet. Diese Frontex-Missionen werden als Teil der europäischen Externalisierungspolitik mit Drittstaaten beschlossen, um den EU-„Grenzschutz“ vor die Außengrenzen zu verlagern. 2019 wurde außerdem eine weitere Mandatserweiterung beschlossen, eine stehende Einsatztruppe (“Standing Corps”) mit 10.000 Grenzwächter*innen aufzubauen, von denen 3.000 erstmals direkt Frontex in Warschau unterstehen. Zu den Beschlüssen gehört auch, das Frontex-Budget zu verdreifachen.
Durch die Erweiterung der Befugnisse ist Frontex an Rückführungen aus der Ägais in die Türkei beteiligt und mit der Überwachung und Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität beauftragt. Das führt dazu, dass Frontex mithilfe moderner Technologien wie Drohnen, Schiffen und Fahrzeugen in den Besitz einer großen Menge an sensibler Daten kommt, die sie jedoch nicht für Rettungseinsätze von Menschen auf der Flucht nutzen. Im Gegenteil: Im zentralen Mittelmeer beispielsweise kooperiert Frontex mit der von Milizen geführten lybischen Küstenwache. Die Lokalisierung von Booten, die der Leitstelle der lybischen Küstenwache gemeldet werden, führt dazu, dass Menschen auf der Flucht zurück nach Lybien gebracht werden, wo ihnen Misshandlung, Folter und Mord drohen.
Die Einhaltung und Sicherung von Grundrechten ist explizit Teil des Frontex-Mandats. In der Verordnung 2016/1624 wird festgeschrieben: „Die Agentur trägt zu einer konstanten und einheitlichen Anwendung des Unionsrechts, einschließlich des Besitzstands der Union im Bereich der Grundrechte, an allen Außengrenzen bei.“ Obwohl Frontex zum Schutz von Grund und Menschenrechten verpflichtet ist, werden diese im Sinne der „Migrationsabwehr“ missachtet. Von dem Gesamtbudget von Frontex werden 2020 nur 0.22 % für das „Fundamental Rights Office“ investiert (zum Vergleich 15 % werden für das European Centre for Return ausgegeben). Eigentlich hätte Frontex bis zum 5. Dezember 2020 40 Mitarbeiter:innen einstellen müssen, die darauf achten sollen, dass die Rechte von Menschen auf der Flucht an Europas Grenzen gewahrt werden, allerdings wurde bis heute nicht solch ein*e Mitarbeiter*in eingestellt.
Pushbacks
Die Agentur ist auf dem Mittelmeer genauso wie auf der “Balkanroute” an illegalen und meist gewaltvollen Pushbacks beteiligt. Dies ist seit der Veröffentlichung von Videos von August 2020 zu Pushbacks in der Ägäis besonders deutlich geworden. Alle Versuche, die Vorwürfe zu prüfen, werden durch die Agentur erschwert. Der Frontex-Chef vertuscht und leugnet Informationen zu Pushbacks trotz der Tatsache, dass schon seit 2014 Berichte belegen, dass Frontex an Pushbacks beteiligt war. Seitdem wird die systematische Einbindung von Frontex in die Durchführung von Pushbacks immer sichtbarer gemacht.
Ein gängiges Muster dabei ist die Kooperation von Frontex mit nationalen Polizeibehörden, deren systematische Durchführung illegaler Pushbacks unter Gewaltanwendung belegt ist (Ungarn, Griechenland, Kroatien, u.a.). Die Beteiligung der Agentur an Pushbacks kann in zwei Arten unterschieden werden: Zum Teil sind Frontex-Beamt:innen direkt darin verwickelt, wie zum Beispiel in Ungarn – wo es Berichte über die Beteiligung von Frontex-Beamt:innen an gewalttätigen illegalen Pushbacks gibt – , und in Griechenland. Eine andere, rechtlich schwerer belangbare Art der Beteiligung der Agentur an Pushbacks geschieht durch das Sammeln und Weitergeben von Informationen unter Verwendung modernster Grenztechnologien wie Drohnen, Wärmebildkameras und Fahrzeugen an nationale Grenzbehörden, die dann Pushbacks durchführen.
Dies geschieht zum Beispiel in Kroatien, wo Frontex weniger durch Beamt:innen an der Grenze, sondern mehr durch Überwachungstechnologien anwesend ist. Durch eine intensive Luftraumüberwachung mit eigens gecharterten Flugzeugen und der Lokalisierung von Menschen auf der Flucht, deren Aufenthaltsorte an kroatische Beamt:innen weitergeleitet werden, beteiligt sich Frontex an Pushbacks – die von Amnesty International als “Folter” eingestuft wurden. Die konkreten Einsatzorte der Flieger sind dabei geheim, da die Transponder der Frontex-Flieger ausgeschaltet werden.
Obwohl sich die Beweise über die Verwicklung in Pushbacks häufen, wurde bisher nur die ungarische Mission von Frontex abgebrochen, nachdem der Europäische Gerichtshof im Dezember 2020 Ungarn für seine EU-rechtswidrige Asylpolitik verurteilte.
Accountability
Frontex vertuscht aktiv ihre Machenschaften und leugnet selbst bestehende Beweise einer aktiven Mitwirkung an Menschenrechtsverletzungen. Nachdem Spiegel, ARD und Bellingcat Belege für die Beteiligung an Pushbacks von Frontex veröffentlichte, twitterte die Agentur zynischerweise: “Bis jetzt haben wir noch keine Dokumente gefunden, die eine Gesetzesverletzung belegen würden“. Auch die kürzlich veröffentlichten “Frontexfiles” zeigen, wie Frontex ihre Aktivitäten vertuscht. Diese belegen, dass Frontex über Jahre hinweg Waffenlobbyisten getroffen hat, ohne dass diese im EU-Transparenz-Register gelistet worden wären.
Generell ist es schwer, an Informationen über die Aktivitäten von Frontex zu gelangen. Berichte von Frontex-Direktor Leggeri, die beispielsweise dem Europäischen Parlament vorgelegt werden, sind oft nicht vollständig oder beschönigt. Obwohl interne Berichte Informationen über Pushbacks in der Ägais dokumentieren, leugnet Leggeri diese auch gegenüber dem europäischen Parlament. Informationen über eingesetzte Flugzeuge und Schiffe müssen zudem nicht preisgegeben werden. Weiterhin sollen Kritiker:innen und Aktivist:innen, die Aufklärungsarbeit zu Einsätzen von Frontex leisten, aktiv zum Schweigen gebracht werden: nach einer verlorenen Auskunftsklage gegen Frontex vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg wurden Aktivist:innen von “Frag den Staat” horrende private Anwaltskosten auferlegt.
Interne Kontrolle
Ein zentrales Problem von Frontex ist: die Agentur kontrolliert sich vor allem selbst. Frontex selbst verfügt über unterschiedliche Kontrollmechanismen. Auf der Webseite können zwar grundsätzlich alle Personen eine Eingabe bei Frontex vornehmen, allerdings wird dieser Beschwerde nur nachgegangen, wenn sie Frontex-Beamt:innen selbst betrifft. Weiterhin ist die Grundrechtsbeauftragte bei Frontex eine Person, die bei der Agentur selbst angestellt ist. Eine unabhängige, externe Prüfung ist somit nicht gegeben und es kann systematisch Verantwortlichkeit vermieden werden. Hinzu kommt, dass öffentlich geäußerte Bedenken der Grundrechtsbeauftragten bezüglich Missionen nicht zwingenderweise zu deren Abbruch führen, wie die Fortsetzung der Mission in der Ägais zeigt.
Hinsichtlich der Vorwürfe der Beteiligung an Pushbacks in der Ägais wurde lediglich eine interne Untersuchung eingeleitet. Die Agentur selbst habe 13 Fälle von Zurückweisungen geprüft, in acht Fällen habe die eingesetzte Arbeitsgruppe keine Rechtswidrigkeit feststellen können. „Fünf Fälle werden weiter untersucht.“ Dies scheint eine wesentliche Taktik von Frontex zu sein: Menschenrechtsverstöße werden als “nicht überprüfbar” dargestellt oder als Einzelfälle abgetan. Im Innenausschuss des Europäischen Parlaments leugnete Frontex-Chef Leggeri die Beteiligung seiner Behörde an illegalen Zurückweisungen bzw. wies er die Vorwürfe einer systematischen und kontinuierlichen Beteiligung an Pushbacks in der Ägäis zurück .
Der interne Kontrollmechanismus, der illegale Vorkommnisse an den Grenzen verhindern soll, soll durch die sogenannten “Serious Incidents Reports”(SIR) sichergestellt werden. Diese erfüllen aber in ihrer praktischen Ausführung nicht ihren Zweck. In diesen internen SIRs sollen zwar Rechtsverstöße gemeldet, von der Grundrechtsbeauftragten geprüft und an den Exekutivdirektor weitergeleitet werden und damit in letzter Konsequenz zum Abbruch einer Frontex-Mission führen. Viele der SIRs werden aber geschönt und sind als Instrument eher unwirksam. Beispiele aus Griechenland zeigen, dass Pushbacks als „Rückführungen“ bezeichnet werden, obwohl es sich juristisch um zwei sehr unterschiedliche Begriffe handelt (Pushbacks sind per se illegal).
Teilweise werden SIRs auch schlichtweg ignoriert, wenn sie Pushbacks dokumentieren. Das zeigt ein Beispiel aus dem Jahr 2018: Im Zuge einer Recherche von Report München wurden interne SIRs veröffentlicht, die belegen, dass Frontex 2016 an einem Pushback von Ungarn nach Serbien beteiligt war, bei dem Flüchtende mit Hunden gejagt, verprügelt und über die Grenze nach Serbien deportiert wurden. Andere Beispiele zeigen, dass SIRs Pushbacks in der Ägäis dokumentieren, diese allerdings von Frontex-Chef Leggeri, auch gegenüber dem Europäischen Parlament, geleugnet und zurückgehalten werden.
Bisher wurde noch kein Fall illegaler Zurückweisungen durch einen solchen Report aufgeklärt. Stattdessen werden sie im Gegenteil von Frontex dazu missbraucht, die Existenz von Pushbacks per se zu leugnen – indem die Behörde darauf verweist, dass es zu einem bestimmten Vorfall keinen Report gibt.
Supranationale Kontrolle (EU-Kom, Europarat): Allgemein wird die Agentur von einem Verwaltungsrat, bestehend aus Vertreter*innen der Mitgliedstaaten und der EU-Kommission, kontrolliert. Dieses nicht demokratisch gewählte Gremium entscheidet, wie Frontex mit Menschenrechtsverstößen umzugehen hat. Es ist ebenfalls die Europäische Kommission, der die Aufsichtspflicht für Frontex zukommt. Da sie jedoch kein Weisungsrecht besitzt, kann sie kaum direkt auf Frontex-Chef Fabrice Leggeri einwirken. Entsprechend werden Aufforderungen zur Aufklärung von Pushbacks meistens ignoriert.
Rein rechtlich gesehen unterliegt Frontex zwar einer Rechenschaftspflicht gegenüber dem EU-Parlament, das allerdings kaum einen direkten Einfluss auf die Arbeit von Frontex hat. Dennoch wären Untersuchungsausschüsse des Parlaments ein zentrales Werkzeug der Kontrolle. Im Januar diesen Jahres wurde nun zunächst eine Arbeitsgruppe mit Abgeordneten des EPs eingesetzt, die innerhalb von vier Monaten einen Bericht zu den Anschuldigungen gegen Frontex vorlegen wird.
Weitere Kontrollgremien, wie die Ombudsperson in der EU, sind chronisch unterbesetzt und haben nur sehr eingeschränkte Befugnisse.
Nationale Kontrolle
Die liberale Europaabgeordnete Sophie in’t Veld bezeichnet Frontex als ein “Monster”, das “niemandem Rechenschaft schuldet und über dem Recht steht”. Und tatsächlich: fehlende Rechtsbehelfe machen es für Menschen auf der Flucht kaum möglich, sich rechtlich gegen Frontex zu wehren. Fälle von Menschenrechtsverletzungen und Pushbacks mit Beteiligung von Frontex wurden nicht einmal zu Gericht gebracht, da die Agentur so gestaltet ist, dass der Zugang zur Justiz kompliziert ist. Frontex Beamt*innen genießen in ihrer Funktion weitgehende Immunität, die auch von dem Europäischen Gericht für Menschenrechte nicht eingeschränkt werden können, da die EU nicht Mitglied des Europarates ist und die Europäische Konvention für Menschenrechte als EU nicht ratifiziert hat.
Daher ist es sehr schwierig, gegen Frontex selbst und so auch gegen die dort angestellten Beamt*innen rechtlich vorzugehen. Falls Frontex Mitarbeiter*innen Verstöße anderer nationaler Beamt*innen dokumentieren, werden diese zwar regelmäßig weitergeleitet, aber Beschwerden werden oft vertuscht oder fallen gelassen. Trotz zahlreicher von Frontex selbst gesammelter Beweise über Menschenrechtsverstöße nationaler Polizeibehörden wurde bislang nur eine einzige Mission in Ungarn, nach vierjähriger Komplizenschaft an illegalen Pushbacks, beendet. Das zeigt: Frontex bietet keinerlei effektiven Rechtsschutz für Betroffene.
Frontex auf dem "Balkan"
Die ersten Working-Agreements zwischen Frontex und verschiedenen Staaten der sogenannten Balkanregion wurden bereits 2009 unterzeichnet. Seitdem rückte die generelle Zusammenarbeit mit Drittländern weiter in den Fokus und es wurden in den meisten Ländern des Balkans weitere Schritte in die Wege geleitet. In der neuesten Erweiterung des Mandates von 2019 wird unter anderem festgehalten, auf welche Art und Weise Frontex in Nicht-EU-Staaten operieren darf.
Einer tatsächlichen „Gemeinsamen Operation“ zwischen Frontex und Drittstaaten muss eine sogenannte Statusvereinbarung vorangehen, die der Agentur erlaubt, auf Staatsgebiet des jeweiligen Drittstaates zu agieren und festlegt, wie genau die Kooperation aussieht.
Die erste Operation dieser Art wurde am 21. Mai 2019 in und mit Albanien gestartet. Es wurden 50 Beamt:innen, und 16 Fahrzeuge den albanischen Grenzbeauftragten zu Seite gestellt, darunter auch eine unbekannte Zahl Deutscher Beamt:innen. Laut der Albanischen Daily News wurden über 20 gemeinsame Operationen erfolgreich abgeschlossen. Übersetzt bedeutet das, dass Frontex daran beteiligt war, Geflüchtete daran zu hindern, Albanien zu betreten oder sogar gefangen zu nehmen, sollten sie das Land bereits betreten haben. Inzwischen halten sich mind. 70 Frontex Beamt:innen in Albanien auf. Ein Ende des Aufenthalts ist nicht in Sicht, da die Kooperation zum gemeinsamen Grenzschutz von Frontex und Albanien am 17. März 2021 verlängert wurde .
Bereits im Juli 2018 unterzeichneten die Agentur und Nord Mazedonien eine Statusvereinbarung zur möglichen Kooperation an der Grenze zu Griechenland. Die Umsetzung einer tatsächlichen „Gemeinsamen Operation“ wird bisher allerdings noch durch den EU-Mitgliedsstaat Bulgarien verhindert. Trotzdem haben sich in den vergangenen Jahren ausländische Polizist:innen dienstlich in Nord Mazedonien aufgehalten, und es gibt Zeug:innenberichte, die die Involvierung von Frontex Beamt:innen in Pushbacks an der Nord Mazedonischen Grenze nach Griechenland bezeugen (13. Juli 2019, 08. September 2019, 14. August 2020, 17. August 2020, 20. August 2020).
In Montenegro ist seit Anfang 2020 das neue Abkommen in Kraft getreten und nur wenige Monate später wurde im Oktober bereits der zweite Einsatz gestartet. Frontex soll Montenegro hauptsächlich bei der Kontrolle der Seegrenzen unterstützen und technisches Equipment zur Verfügung stellen. Dies hat bereits im gleichen Jahr dazu geführt, dass Frontex-Mitarbeiter*innen Flüchtende „abfangen“ und festnehmen.
Beunruhigenderweise sind in den Statusvereinbarungen mit Albanien und Montenegro Artikel eingearbeitet, die Frontexmitgliedern Immunität vor dem jeweiligen Strafvollzugssystem gewähren. So können Beamt*innen der Agentur für Taten, die sie im Rahmen ihres Amtes begehen, nicht belangt werden. Diese Vereinbarungen ähneln Absprachen, die die EU normalerweise für militärische Operationen trifft.
In den letzten zwei Jahren wurden mit Bosnien-Herzegowina (BiH) und Serbien weiterführende Vereinbarungen getroffen, welche sich zurzeit noch an verschiedenen Stellen der Ratifizierung befinden.
Die Vereinbarung mit BiH ist zwar bereits formuliert, aber noch nicht von beiden Seiten unterschrieben. Die Vereinbarung für einen aktiven Einsatz in Serbien ist bereits getroffen und unterzeichnet. Ende Februar 2020 wurde die Vereinbarung auch vor dem serbischen Parlament angenommen und ist seit dem 10. März in Kraft getreten. Dies ist hinter verschlossenen Türen geschehen und auch unter dem Radar der nationalen und internationalen Presse beschlossen worden.
Auch außerhalb der Balkanregion wird Frontex zur Grenzüberwachung eingesetzt. Ähnlich wie an der kroatischen Grenze besteht die Zusammenarbeit zwischen der Agentur und Ländern Nordafrikas hauptsächlich aus Informationsweitergabe durch Frontex. Mit Hilfe angemieteter Privatflugzeuge und von den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellten Maschinen fliegt Frontex das Mittelmeer ab und gibt Informationen, welche in Seenot geratene Personen betreffen, meist ausschließlich an die sogenannte libysche Küstenwache weiter. Dies hat dazu geführt, dass internationale Organisationen – u. A. Amnesty International – Frontex vorwerfen, an illegalen Grenzschutzpraktiken beteiligt zu sein.
Militarisierung und Waffen
Im Februar 2021 wurde durch die Veröffentlichung der “Frontex Files” die Verbindung von Frontex mit dem militärisch-industriellen Komplex öffentlich gemacht. Die veröffentlichten Dokumente belegen, dass Frontex sich über mehrere Jahre mit über 100 Rüstungslobbyist*innen traf, darunter die Rüstungskonzerne Thales, Leonardo und Airbus.
Doch die Militarisierung der Agentur hat nicht erst vor kurzem begonnen. Im Bereich der Forschung arbeitet die Agentur seit ihrer Gründung mit der European Defence Agency (EDA) und dem Rüstungskonzern Thales zusammen. Seitdem steht Frontex für die zunehmende Militarisierung des europäischen Grenzregimes. Seit 2016 nutzt Frontex Drohnen im Mittelmeerraum zum Aufspüren von Booten, diese werden produziert von der italienischen Rüstungsfirma Leonardo und den israelischen Firmen Elbit Systems uns IAI. Das Modell “Heron 900” wird von Armeen genutzt und wurde das erste Mal eingesetzt im Gazakrieg 2014 eingesetzt, in dem unzählige Zivilist*innen von Drohnen getötet wurden. Mit der engen Verbindung zum militärischen Komplex stellt Frontex ein Eintrittstor für Rüstungsfirmen in den zivilen Sektor dar.
Als am schnellsten wachsende EU-Agentur ist sie für den Rüstungssektor ein wichtiger Partner, um Rüstungsprodukte auch außerhalb des militärischen Kontextes zu vermarkten. Sie trägt damit auch dazu bei, den Diskurs über um Migration und Flucht immer mehr zu einem militärisch-sicherheitlichen zu machen.
Ein weiterer Schritt in Richtung Militarisierung stellt die Bewaffnung von Frontex-Beamt*innen dar. Die Frontex-Verordnung von 2019 sieht eine “ständige Reserve” von 10.000 Beamt*innen vor, von denen 3.000 direkt bei Frontex angestellt sind. Sie unterstehen damit dem Hauptsitz in Warschau, nicht mehr den einzelnen Mitgliedstaaten. Neben einer neuen Uniform sieht die Verordnung für diese Beamt*innen auch die Bewaffnung mit Schusswaffen vor. Die Registrierung der Waffen bringt jedoch rechtliche Schwierigkeiten mit sich, da Frontex, dessen Hauptsitz in Warschau ist, in Polen nicht als Einheit erwähnt wird, die Waffen und Munition besitzen kann. Leggeri will dem Problem durch einen – von der EU-Kommission abgesegneten – Trick entkommen: Die Waffen werden als “technische Ausrüstung” umetikettiert, was Frontex erlaubt, sie in Polen zu registrieren.
Frontex steht bereits in engem Kontakt mit Waffenhersteller:innen, wie die “Frontex Files” belegen. Die Bewaffnung aufgrund der rechtlichen Grauzone der Bezeichnung von Schusswaffen als “technischen Ausrüstung” bedeutet, dass Frontex als de-facto-Grenzpolizei, die als EU-Agentur eigentlich gar keine exekutiven Fähigkeiten besitzen darf, bald mit Schusswaffen ausgestatten ist, ohne rechtlich dafür zur Verantwortung gezogen werden zu können.
Schluss
Obwohl zahlreiche Berichte die illegalen Verwicklungen von Frontex belegen, wurde die Agentur bisher nicht zur Rechenschaft gezogen. Trotz mangelnder Transparenz, fehlenden Rechtsbehelfen und stetigen Berichten von Menschenrechtsverletzungen wird Frontex durch EU massiv ausgebaut und ihre Rechte gestärkt. Dieser Ausbau einer unkontrollierbaren de-facto-Grenzpolizei lassen immer deutlicher den Eindruck entstehen, dass Frontex nicht nur eine außer Kontrolle geratene Agentur ist, sondern auch zentraler Bestandteil einer unrechtmäßigen und gewalttätigen EU-Migrationspolitik. Frontex betreibt Abschottung auf Kosten von Menschenleben und gehört abgeschafft. Um eine unabhängige Kontrolle gewährleisten zu können, bräuchte es individuelle Rechtsbehelfe und eine öffentliche Autorität, die sich für diese Menschenrechtsverletzungen verantworten muss. Um diese zu verhindern sind ein effektiver Grundrechtsschutz und unabhängige Monitoring-Mechanismen an den europäischen Außengrenzen unerlässlich. Statt Frontex braucht es unabhängige Monitoring-Mechanismen und einen effektiven Grundrechtsschutz an den europäischen Außengrenzen.
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Stand: April 2021