Interview mit Sanela vom World Travelers Community Center in Sarajevo

Projekt-Updates, Stimmen vor Ort

Interview mit Sanela vom World Travelers Community Center in Sarajevo

„Wenn sie sich hier wohlfühlen, wieso sollten sie dann nicht hier bleiben?”

Sanela Klepić ist seit vielen Jahren in der Solidaritätsarbeit für People on the Move aktiv. Viele Jahre arbeitete sie für das Rote Kreuz. Zudem ist sie Gründerin des World

Travelers Community Center – INTERGreat in Sarajevo, das die Balkanbrücke seit mehreren Jahren unterstützt. Wir haben sie nach ihren Erfahrungen mit Kriminalisierung und der Behinderung ihrer Arbeit gefragt.

Was ist die Idee hinter dem Intergreat-Projekt?

Sanela: Das Projekt verfolgt einen umfassenden und auf Nachhaltigkeit angelegten Ansatz: Es gibt verschiedene Bildungsangebote, rechtliche und psychosoziale Beratung und Begleitung, Unterstützung bei der Wohnungssuche und auf dem Arbeitsmarkt und ein eigenes, kleines soziales Unternehmen, in dem Schutzsuchende ein bisschen Geld verdienen können. Die Idee ist es, die Menschen von der Straße zu holen und dabei zu unterstützen, sich in Bosnien und Herzegowina einzuleben. Wenn sie sich hier wohlfühlen, wieso sollten sie dann nicht hier bleiben? Selbst wenn die Menschen in Bosnien Asyl bekommen, bekommen sie gar nichts von der Regierung. Keinen Sprachkurs, keinen Cent, nichts. Und deshalb wollen wir sie unterstützen.

Was unterscheidet das Projekt von anderen?

Sanela: Wir waren, glaube ich, die ersten, die Kurse der bosnischen Sprache für Schutzsuchende angeboten haben. Wir haben einen integrativen Fokus. Besonders ist auch unsere Rechtsberatung und -begleitung. Einige Fälle unterstützen wir schon seit einem Jahr und wir sind da durchaus erfolgreich: Mit der Unterstützung unserer Anwältin haben wir für vier Personen bereits einen Aufenthalt erkämpfen können. Ein anderes Verfahren läuft noch. Uns ist es wichtig, dass Menschen, die das Recht haben zu bleiben, auch bleiben können. Wir sind eine kleine NGO und haben es geschafft, dass Personen, die komplett ‘irregulär’ in Bosnien waren, endlich Schutz bekommen haben. Damit Menschen überhaupt einen Asylantrag stellen können, müssen sie einige Dinge organisieren: Sie brauchen ein besonderes “Einreisepapier” und eine Meldeadresse. Auch dabei unterstützen wir Menschen und bieten sicheren Wohnraum an. Wir analysieren die Probleme der Menschen und versuchen individuell Lösungen zu finden. Das unterscheidet uns von anderen Projekten. Durch die Vermietung von Ferienwohnungen schaffenwir sogar Möglichkeiten für PoM, ein bisschen zu arbeiten, etwas Neues zu lernen und auch ein bisschen was zu verdienen.

Macht ihr Erfahrungen mit der Kriminalisierung eurer Arbeit?

Sanela: Nein, mittlerweile wird das Projekt einigermaßen angenommen und wir bekommen sogar von offizieller Seite Lob für das, was wir tun. In den letzten Monaten durfte ich sogar an verschiedenen Konferenzen teilnehmen, auf denen ich als Vertreterin der Zivilgesellschaft mit Behörden und Politiker*innen ins Gespräch kommen konnte. Ich war positiv überrascht. Ich glaube, dass sich die Behörden langsam daran gewöhnt haben, dass die Menschen eben hier sind und so schnell nicht mehr weggehen werden. Und da freut es sie natürlich, wenn es jemanden gibt, der sich um sie kümmert und sie von der Straße holt. Kriminalisiert werden eher die Jungs, die sich ohne Papiere, also ‘illegal’ in Bosnien aufhalten. Aber das ist wie gesagt ja auch ein Punkt, an dem wir mit unserer Arbeit ansetzten.

Der Una-Sana-Kanton im Nordwesten Bosniens war ab 2017 eine der Haupttransitregionen für People on the Move. Damals hast du noch in Ključ gewohnt und warst beim Roten Kreuz aktiv. War die Situation damals eine andere?

Sanela: Ja, damals war es ganz anders. Es war sehr schwierig. In Ključ wurden damals die vorbeifahrenden Busse kontrolliert, die ins 100km entfernte Bihać fuhren. Schutzsuchende wurden damals einfach aus den Bussen gezogen und an der Weiterreise zur kroatischen Grenze gehindert. Das war der Grund, weshalb wir einen humanitären “Service Point” eingerichtet haben. Es war eigentlich nur eine Wiese, also wirklich nichts. Und die schliefen da, also wirklich neben der Straße, es war ganz schlimm. Ja und in diesen 2 1/2 Jahren haben wir dann wirklich etwas aufgebaut. Wir hatten eine Holzhütte, wir hatten Solaranlagen, wir hatten eine Toilette und Wasser. Also haben wir das ein bisschen so modifiziert, dass wir eigentlich den Leuten etwas bieten konnten. Wenigstens normal sitzen und essen und vielleicht eine Nacht schlafen, wo es nicht auf den Kopf schneit oder regnet. Mittlerweile werden die Menschen nicht mehr aus den Bussen gezogen und die Situation hat sich entspannt. Man konnte die humanitäre Hilfe damals gar nicht ausüben. Und nicht nur wir, es ging allen Freiwilligen und Unterstützer*innen damals so. Ich arbeitete damals noch als Lehrerin an einer Schule. Der Direktor rief mich einmal zu ihm und bat mich, das Engagement aufzugeben, weil es dem Ruf der Schule schaden könnte. Einige Menschen haben auch einfach den Kontakt zu mir abgebrochen und mir den Rücken gekehrt. Von überall wurde mir Druck gemacht. Die schlimmste Sache war, dass ich eines Morgens in einer großen Facebook-Gruppe erschienen bin. Da war also ein Bild von mir, mein Facebook-Profil und das Kennzeichen von meinem Auto. Mir wurde in dem Post vorgeworfen, dass ich Menschen nach Bihać schmuggeln und illegale Arbeit machen würde. Der Mensch hat andere dazu aufgerufen, mich zu verfolgen. Ich hatte Angst, nach Bihać zu fahren. Es hätte mich ja jemand angreifen können. Ich habe die Person damals verklagt, konnte den Prozess aber nicht bis zum Ende führen. Solche Sachen musste ich irgendwie aushalten. Oft bin ich an meine persönliche Grenze gekommen. Auch mit ein paar Polizist*innen hatte ich sehr schwierige Momente, in denen mir direkt gedroht wurde und sie versucht haben mich einzuschüchtern. Ich habe mich dann aber immer beschwert. Die illegale Arbeit haben nicht wir geleistet, illegal war diese “Grenze”, die am Rande des Una-Sana-Kantons aufgezogen worden war. Es war ein Kampf, die ganze Zeit.

Das Interview mit Sanela haben wir im letzten Jahr für ein Kapitel unseres Magazins geführt. Es geht zum einen um Sanelas Projekt und zum anderen um ihre Erfahrung mit Kriminalisierung von Solidarität. (Im Magazin könnt ihr das ganze Kapitel lesen)

Website von Intergreat

https://intergreat-center.com

Unsere Seite zum Projekt & Möglichkeit zu spenden

https://dev.balkanbruecke.org/spendenprojekt-world-travelers-community-center/

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